„Freie Affen“ Teil 18

Freie Affen Theaterstück Von Reinhard Tantow Berlin, April/Mai 2016

Achtzehnte Szene
Polizeirevier Moritzstraße III

Polizistin:
Wie ich höre, waren Ihre Aussagen nicht gerade ergiebig.

Wittenberg:
Wir haben dem nichts mehr hinzuzufügen, Madame.

Polizistin:
Das wird sich erst noch erweisen. Sie halten sich bitte zu unserer Verfügung.

Monica:
Keine Ahnung, wie hält man sich denn der Polizei zur Verfügung?

Polizistin:
Haben Sie vor, die Stadt zu verlassen? Planen Sie einen Auslandsaufenthalt?

Monica:
Ich möchte gerne nach Florenz.

Wittenberg:
Das gehört zu Monicas Kindheitsträumen, wissen Sie, Menschen aus dem Geschlechte Tonio Krögers begegnen sich früher oder später auf den Straßen und Plätzen, in den Kirchen und Museen von Florenz wieder und tauschen ihr Bedauern darüber aus, sich nicht schon vor Jahren auf den Weg gemacht zu haben.

Polizistin:
War dieser Herr Kröger auch am Nachmittag oder am Abend auf dem Reformationsplatz anwesend?

Wittenberg:
Nicht, dass ich wüsste.

Monica:
Ich habe ihn nicht gesehen.

Polizistin:
Sie dürfen jetzt gehen, aber Sie halten sich, wie gesagt, zu unserer Verfügung.

Monica:
Wir wollen noch auf unseren Freund Richard warten, wenn Sie nichts dagegen haben.

Polizistin:
Bitte sehr, aber verhalten Sie sich ruhig.

Die Polizistin geht ab. Monica und Wittenberg machen es sich in dem bereits bekannten Warteraum bequem.

Wittenberg:
Tatsache ist, dass Noske und Pabst in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 miteinander telefoniert haben. Pabst benötigte jedenfalls Rückendeckung; außerdem hoffte er auf brauchbare Instruktionen, auf Befehle, auf die er sich berufen und die er ausführen lassen konnte. Die Rückendeckung bekam er; mit den Befehlen haperte es. — Ich möchte versuchen, das Telefonat zu rekonstruieren.

Monica:
Warte, ich lasse es klingeln!

Monica wählt Wittenbergs Nummer mit ihrem Smartphone an. Der einsetzende Klingelton kann nicht anders als peinlich bezeichnet werden. Wittenberg verzieht das Gesicht, als hätte er auf eine besonders saure Zitrone gebissen, lässt es trotzdem eine Weile klingeln, dann nimmt er das Gespräch mit seinem Smartphone entgegen. — Monica und Wittenberg stehen auf und laufen während ihres Telefongespräches vor dem Getränkeautomaten auf und ab.

Monica:
Hier spricht Noske. Guten Abend, Pabst. Was ist los?

Wittenberg:
Pabst, GKSD, Hotel Eden. Herr Minister, ich danke für Ihren Rückruf.

Monica:
Keine Fisimatenten, Pabst, kommen wir zur Sache!

Wittenberg:
Die für die Unruhen in der Hauptsache verantwortlichen Landes- und Hochverräter Liebknecht und Luxemburg sind hier im Stabsquartier Hotel Eden in unserer Hand.

Monica:
Glückwunsch, Pabst, wie Sie das wieder gedeichselt haben!

Wittenberg:
Danke vielmals, Herr Minister, aber ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken. Die beiden Revoluzzer waren unfassbar leichtsinnig. Sie hielten sich gemeinsam in einer Wilmersdorfer Wohnung auf und ließen sich widerstandslos von der Bürgerwehr festnehmen.

Monica:
Egal, Mensch, Hauptsache ist, wir haben das Gesindel!

Wittenberg:
Sehr wohl, Herr Minister, die Frage ist nun natürlich die nach der weiteren Vorgehensweise.

Monica:
Ich denke, wir sind uns einig darüber — und ich darf das im Namen der Regierung, der anzugehören ich die Ehre habe, zum Ausdruck bringen —, dass der unselige Bürgerkrieg, der einzig durch die Schuld der Kommunisten in unserem Vaterlande tobt, baldmöglichst beendet werden sollte.

Wittenberg:
Selbstverständlich, Herr Minister, unser geliebtes Deutschland muss so schnell wie möglich zu innerer Ruhe und äußerem Frieden zurückfinden.

Monica:
Es bestätigt sich einmal mehr, wir verstehen uns, Hauptmann Pabst.

Wittenberg:
Darf ich um genauere Instruktionen bitten, Herr Oberbefehlshaber, zur endgültigen Lösung der Spartakistenfrage? Wie sollen wir uns der beiden Bolschewistenführer entledigen?

Monica:
Es kann nicht meine Sache sein, das zu entscheiden. Daran würde die Partei zerbrechen. Für solche Maßnahmen ist sie unter keinen Umständen zu haben.

Wittenberg:
Was also schlagen Sie vor, Herr Minister?

Monica:
Holen Sie sich die Genehmigung des Generals von Lüttwitz zur Erschießung der beiden Aufrührer ein. — Schließlich sind das seine Gefangenen!

Wittenberg:
Eine solche Genehmigung zur Liquidierung von Zivilisten werde ich von Herrn General niemals bekommen.

Monica:
Dann müssen Sie eben selbst verantworten, was zu tun ist, Pabst!

Wittenberg:
Vielen Dank, Herr Minister, ich wünsche eine gute Nacht.

Monica:
Sie können sich auf mich verlassen, Hauptmann, so wie ich mich in dieser schweren Stunde auf Sie verlassen muss. — Guten Abend.

Monica und Wittenberg schalten ihre Smartphones aus. Sie nehmen ihre Plätze auf den roten Stühlen wieder ein.

Wittenberg:
Hauptmann Pabst hat ungefähr 50 Jahre lang über seine mörderische Zusammenarbeit mit der SPD-Spitze die Schnauze gehalten. Er fand den Noske damals vorbildlich; und die ganze Partei, von deren linken, „halbkommunistischen“ Flügel einmal abgesehen, habe sich in dieser leidigen Affaire tadellos benommen. Aber dann, um das Jahr 1969, stach den Pabst doch noch der Hafer. Er erging sich in Andeutungen. Sprach mit seinem Rechtsanwalt, Herrn Kranzbühler, teilte Herrn Ertel vom Fernsehen manches mit, schrieb sogar an seinen Memoiren. Die Puzzleteile mehrten sich, ließen sich folgerichtig zusammensetzen. Auch der Gedanke, sein Heimatland schulde ihm endlich Dank und Anerkennung, sollte vielleicht sogar ihm Denkmäler setzen, Straßen und Plätze nach ihm benennen, scheint dem Hauptmann, mittlerweile Major Pabst im hohen Alter von bald 90 Jahren nicht mehr gänzlich fremd gewesen zu sein. Aber bis zuletzt galt seine Fürsorge der SPD. In ihrem Interesse wollte er gerne weiterhin „an der Wahrheit vorbeikommen“ und verhindern helfen, dass in die Öffentlichkeit gerate, was dort nach seiner Auffassung keineswegs hingehöre.

30. November 2016