„Freie Affen“ Teil 8

Freie Affen Theaterstück Von Reinhard Tantow Berlin, April/Mai 2016

Achte Szene: Moritzstraße, Nordseite

Monica und die beiden Wolfshunde haben es sich einmal mehr in der Moritzstraße bequem gemacht. Juliane bringt wieder Wasser für die Tiere. In dem Augenblick kommt Mrs. Sanders aus der Apotheke. Sie trägt einen eleganten hellen Sommermantel offen über einem grauen Kostüm. (Dazu vielleicht einen lindgrünen Seidenschal und graue Wildlederschuhe.) In der linken Hand hält sie ein stattliches, schwarzes Walkie-Talkie.

Mrs. Sanders:

Meine Damen, ich habe ernsthaft mit Ihnen zu reden.

Juliane:

So?

Monica:

Guten Tag, Mrs. Sanders.

Mrs. Sanders (zu Monica):

Ihren Namen kenne ich leider noch nicht.

Monica:

Das ist schade, Mrs. Sanders.

Mrs. Sanders:

Möchten Sie sich vielleicht vorstellen?

Monica:

Darüber denke ich gerade nach.

Mrs. Sanders:

Herr Dr. Krauth hat mich soeben über das Gespräch informiert, das er neulich mit Ihnen geführt hat. Sie erinnern sich?

Monica:

Vage, äußerst vage bloß, Mrs. Sanders.

Mrs. Sanders:

Es ging dem Herrn Apotheker um das höchst malerische Bild, das Sie und Ihr Kumpan, der, wie ich hörte, von allen nur „Wittenberg“ genannt wird, für seine werte Kundschaft abgeben, die ungestört bei ihm pharmazeutischen Rat einholen und Medikamente einkaufen möchte.

Juliane:

Der Apotheker ist Monica ziemlich unverschämt gekommen. Dabei hatte sie nichts getan.

Mrs. Sanders:

Sie sind Frau Juliane Zimmermann? Sie führen den Second Hand Shop gleich hier nebenan?

Juliane:

Richtig.

Mrs. Sanders:

Dann sollten Sie entschieden mehr Verständnis für die Sorgen und Nöte Ihrer Handelskollegen aus der Spandauer Altstadt entwickeln — und zwar möglichst umgehend.

Juliane:

Das tue ich doch! Ich nehme sogar regelmäßig an den Sitzungen zur Bürgerbeteiligung am Sanierungsgeschehen teil, obwohl mir das nach der Arbeit oft nicht leicht fällt.

Mrs. Sanders:

Es ist mir schlechterdings unbegreiflich, Frau Zimmermann, wie Sie solch zigeunerhaftes Herumlungern quasi direkt vor Ihrer Ladentüre auch noch unterstützen können. Es muss Ihnen doch einleuchten, dass ein anständiges, bürgerliches Publikum, wie wir es für unsere City Performance dringend brauchen und dementsprechend keinesfalls verärgern wollen, sich geniert, wenn es sich seinen Weg in die Geschäfte an äußerst fragwürdigen Gestalten vorbei gewissermaßen erst erkämpfen muss.

Juliane:

Jetzt übertreiben Sie aber, Mrs. Sanders. — Monica und Wittenberg sprechen niemanden an. Sie betteln nicht. Wenn ihnen ein Passant eine Münze schenkt, nehmen sie sie natürlich dankend an.

Monica:

In Deutschland sagt man auch nicht mehr „Zigeuner“, Mrs. Sanders, das wird zunehmend als diskriminierend empfunden.

Mrs. Sanders:

Ich glaube, ich träume! Jetzt muss ich mich vielleicht noch vor Ihnen rechtfertigen?

Monica:

Das wäre zumindest einer kurzen Überlegung wert, Mrs. Sanders. Sie würden damit am Ende vor sich selbst bestimmt besser dastehen.

Mrs. Sanders:

Ich bin aus London hierhergekommen, um Ordnung zu schaffen, und glauben Sie mir, es wird mir auch gelingen.

Monica:

Davon bin ich überzeugt, Mrs. Sanders.

Juliane:

Nach den Besprechungen im Bürgerforum hatte ich mir Ihre Tätigkeit für uns in der Altstadt allerdings ein wenig anders vorgestellt.

Mrs. Sanders:

Und wie, wenn ich fragen darf?

Juliane:

Ich dachte, Sie würden neben bestimmten Ordnungsvorstellungen auch eine Art weltstädtisches Flair aus Ihrer fabelhaften Hauptstadt mitbringen. Wissen Sie, ich habe einige Jahre in Pimlico gelebt. London hat mich mächtig beeindruckt. Westminster Abbey vor allem. Die Kirche ist für mich ein Symbol der Hoffnung dafür, dass aus uns Menschen vielleicht eines Tages doch noch etwas wird.

Mrs. Sanders:

Ausgerechnet Pimlico — ich fasse es nicht!

Juliane:

Ich meine, es ist vollkommen korrekt, wenn Sie Ladendiebe unbarmherzig verfolgen und ihrer gerechten Bestrafung zuführen, keine Frage, aber das kann doch nicht alles sein. Was wir in erster Linie benötigen, das sind kreative Phantasien und produktive Inspirationen.

Mrs. Sanders:

Vielleicht sollten Sie zunächst einmal und vor allen Dingen Ihr Ladenlokal regelmäßig lüften, Frau Zimmermann.

Juliane:

Gute Idee, Mrs. Sanders, ich verabschiede mich.

Juliane nickt Monica und Mrs. Sanders kurz zu, dann beugt sie sich zu den Hunden herab, streichelt sie flüchtig und verschwindet in ihrem Second Hand Shop.

Mrs. Sanders:

Über Ihre beiden Haustiere müssen wir uns ausführlicher auseinandersetzen, Frau …

Monica:

Monica.

Mrs. Sanders:

Frau Monica …

Monica:

Monica genügt, Mrs. Sanders.

Mrs. Sanders:

Also gut, Monica, Sie können nicht Wölfe in der Altstadt von Spandau frei herumlaufen lassen. Das ist beängstigend und irrsinnig. Ich verbiete Ihnen das hiermit ein für allemal. Haben Sie mich verstanden?

Monica:

Anastasia und Zoltan sind keine Wölfe.

Mrs. Sanders:

Sie sehen Wölfen aber verdammt ähnlich, finden Sie nicht auch?

Monica:

Es handelt sich um Wolfshunde aus Irland.

Mrs. Sanders:

Aus Irland ist selten etwas Gutes gekommen.

Monica:

Es sind Rassehunde. Wir besitzen sogar einige Papiere, die es Kennern ermöglichen, ihre Zucht oder ihre Herkunft nachzuverfolgen.

Mrs. Sanders:

Ich schlage vor, Sie besprechen das in aller Ruhe mit Ihrem famosen Herrn Wittenberg. Auf dessen bessere Einsicht kann ich nur hoffen. Sollten Sie sich weiterhin quer stellen, dann bekommen Sie es mit mir zu tun. — Ich habe Sie gewarnt. Guten Tag.

Mrs. Sanders geht ab nach links in Richtung Jüdenstraße und Altstädter Ring.

(17. August 2016)